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Zur Bedeutung von Indikatoren in Informationssystemen

Manchmal täuscht der Augenschein: Würden Sie dieser Firma Ihr Geld anvertrauen?

Erster Blick von der Leimener Nordumgehung auf das MLP-Logo

Dies war der erste Blick, wenn ein Autofahrer die neue Leimener Nordumgehung herunter fuhr. (Inzwischen wurden Schrift und Emblem entfernt.) Natürlich konnte er wenige Minuten später die Täuschung erkennen:

Blick aus der Rheinebene auf dieselben Häuser

Beide Bilder sind nicht retuschiert. Und auch das dritte Bild, welches die MLP wohl bevorzugt hätte, ist lediglich aus einem anderen Winkel aufgenommen:

ehemaliges MLP-Hochhaus

Was hier am Beispiel von Bildern gezeigt wird, gilt genau so auch für alle anderen Informationen: Informationen vermitteln ein Bild von der Wirklichkeit, welches dann wiederum von Menschen interpretiert wird. In diesem Prozess kann es zu vielen Ursachen für Fehlinterpretationen kommen: Fakten werden verdeckt oder falsch dargestellt, die Darstellung impliziert eine Sichtweise, die keineswegs selbstverständlich ist, der einfache Zugang zu bestimmten Informationen führt zur Vernachlässigung anderer Fakten.

Wenn Informationssysteme Entscheidungen unterstützen, Führung erleichtern und verbessern, die Übernahme von Verantwortung ermöglichen sollen, kommt es entscheidend darauf an, dass die über diese Systeme vermittelten Informationen hohen Qualitätskriterien genügen:

  • Sie müssen einen relevanten Bereich vollständig abdecken, damit alle Aspekte gleichzeitig kontrolliert werden können.
  • Sie müssen auf den Empfänger, seine Interessen und seine Möglichkeiten, zu handeln und zu entscheiden, zugeschnitten sein.
  • Die Daten müssen für die Interpretationen adäquat aufbereitet sein.

Die Bedeutung dieser Qualitätskriterien möchte ich an einer volkswirtschaftlichen Fragestellung verdeutlichen (dies ermöglicht mir die Arbeit mit realen Daten, ohne die Internas eines konkreten Unternehmens offenzulegen): Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft impliziert dass die volkswirtschaftliche Bedeutung der Produktion abnimmt und tertiäre Bereiche zunehmen. Oft ist die verkürzte Behauptung zu hören und zu lesen: "Neue Arbeitsplätze entstehen nur noch im Dienstleistungssektor." Aber wie sieht diese Entwicklung genau aus?

Im Folgenden werde ich zeigen, dass die Darstellung desselben Sachverhalts mit verschiedenen Indikatoren, verschiedenen Zeiträumen und in verschiedener Detaillierung zu unterschiedlichen Interpretationen führt. Dabei verzichte ich bewusst auf eine inhaltliche Diskussion, z.B. dass ein großer Teil der Zunahme von Dienstleistungen in der Statistik durch das Outsourcing der verschiedensten Tätigkeiten, von der Reinigung, über die Kantine bis zu Entwicklungstätigkeiten und dem Betrieb des Rechenzentrums, verursacht wurde, und keineswegs mit einer qualitativ anderen Zusammensetzung der Wertschöpfung zusammen hängt. Mir geht es nur darum, an einem konkreten Beispiel zu zeigen, wie die Auswahl und die Darstellung von Daten die Interpretation beinflussen kann.

Betrachtet man die Bruttowertschöpfung in Preisen von 1995 nach zusammengefassten Wirtschaftsbereichen ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass die Dienstleistungsbereiche gewachsen sind, während das Produzierende Gewerbe praktisch stagnierte.
(Anmerkung: Das Jahr 1991 kommt hier und in den folgenden Grafiken doppelt vor: Beim ersten Mal ist es das frühere Bundesgebiet, danach kommt der Wert für Gesamtdeutschland.)

Auch bei der Zahl der Erwerbstätigen zeigt sich diese Entwicklung, wobei hier auch die verenigungsbedingte Zunahme der Erwerbstätigen deutlicher sictbar ist, als in der Grafik zur Bruttowertschöpfung. Man sieht auch, dass die Zahl der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe absolut zurück geht.


Wie begrenzt die Aussagekraft dieser absulten Zahlen ist, zeigt sich jedoch erst, wenn man die Anteile der Wirtschaftsbereich an der Gesamtwirtschaft betrachtet, und dabei auch die Entwicklung der Preise berücksichtigt.

Erst jetzt wird deutlich, dass das relative Wachstum der Dienstleistungsbereiche "schubweise", vor allem in der ersten Hälfte der 70er Jahre und in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung erfolgte. Von 1970 bis 1975 stieg dieser Anteil um 7,4 Prozentpunkte, während er von 1981 bis 1991 nur um 4,7 Prozentpunkte und von 1996 bis 2004 nur noch 1,8 Prozentpunkte anstieg. Betrachtet man das verarbeitende Gewerbe, der größte Teilbereich des produzierenden Gewerbes (ohne Baugewerbe, Bergbau, Gewinnung von Steinen und Erden, Energie- und Wasserversorgung), so zeigt sich dass dessen Anteil zwischen 1981 und 1991 nur noch um 1,6 Prozentpunkte zurück ging, und zwischen 1995 und 2004 praktisch konstant blieb (zwischen 22,2% in den Jahren 1996, 1999, 2003 und 22,7% im Jahr 2004).

Das ändert natürlich nichts am Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe. Während 1970 noch 46,7% aller Erwerbstätigen (12,4 Millionen) im produzierenden Gewerbe tätig waren, sind es im Jahr 2004 nur noch 26,7% (10,25 Millionen).
(In dieser Grafik fehlt der Rückgang in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei. In diesem Bereich arbeiteten 1970 noch 8.6% aller Erwerbstätigen, 2004 waren es noch 2,3%. Dadurch steigt die Summe der dargestellten Anteile an. Bei den Arbeitnehmern in den folgenden Grafik ist dieser Effekt weniger ausgeprügt, weil der Anteil der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei nur zwischen 1,1% und 1,5% schwankt.)

Dieses Bild ändert sich auch nicht wesentlich, wenn man nur die Arbeitnehmer betrachtet. Allerdings lassen sich für diese Gruppe die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und die Verdienste besser erfeassen. Die geleisteten Arbeitsstunden werden aber nicht für das verarbeitende Gewerbe, sondern nur für das produzierende Gewerbe ohne Baugewerbe berichtet.

Anteil der Arbeitnehmer

Vergleicht man statt der Anzahl der Arbeitnehmer die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, so zeigt sich dass deren Anteil etwas weniger stark gefallen ist.

Anteil der Arbeitnehmer

Während die Anteil bei den Arbeitnehmern im produzierenden Gewerbe um 21,1 Prozentpunkte und im Baugewerbe um 3,8 Prozentpunkte (insgesamt 24,9) zurück ging, verringerten bei den geleisteten Stunden die Anteile nur um 19,6 bzw. 2,8 Prozentpunkte (insgesamt 22,4).

Das ist sicher kein dramatischer Unterschied, aber wenn man jetzt noch die Anteile der Bruttolöhne und -gehälter betrachtet, erkennt man, dass der "gesellschaftliche Wandel" unter diesem Aspekt deutlich kleiner ausfällt, als man nach den ersten Grafiken vermuten würde.

Anteile der Bruttolöhne und -gehälter

Trotz des starken Rückgangs beim Baugewerbe wird dort oder im Produzierenden Gewerbe noch immer jeder dritte Arbeitnehmer-Euro verdient. Der Rückgang des Anteils liegt nur noch bei 18 Prozentpunkten insgesamt und bei 13 Prozentpunkten im produzierenden Gewerbe ohne Baugewerbe. (Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes ging unter diesem Gesichtspunkt sogar nur um 12 Prozentpunkte zurück.)

Über lange Zeiträume veränderte sich der Anteil des produzierenden Gewerbes ohne Baugewerbe bei den Bruttolöhnen und -gehältern nur geringfügig: -0,41 Prozentpunkte zwischen 1975 und 1980, -0,37 Prozentpunkte zwischen 1982 und 1990. Und selbst in den letzten 8 Jahren zwischen 1996 und 2004 fiel er nur um 1,4 Prozentpunkte - ein Zehntel des Volumens in den letzten 33 Jahren.

Aufschlussreich ist es jetzt, die beiden großen Bereiche Dienstleistung und verarbeitendes Gewerbe differenziert zu betrachten. Dann zeigt sich z.B. dass im Fahrzeugbau das Wachstum seit 1995 auch mit einer Zunahme des Anlagevermögens, also Netto-Investitionen in Deutschland und einer absoluten Zunahme der Beschäftigten erreicht wurde. Bei den Dienstleistungsbereichen, deren Anteil an der Wertschöpfung von 44,5% im Jahr 1991 um 8,2 Prozentpunkte auf 52,2% im Jahr 2003 (die detaillierten Daten für 2004 liegen mir noch nicht vor) gestiegen ist, zeigt sich dass allein der Bereich K, Grundstückswesen, Vermietung und Unternehmensdienstleister, ein Wachstum von 5,5 Prozentpunkten aufweist, wobei wiederum die Wirtschaftszweige Grundstücks- und Wohnungswesen mit 2,9 und Dienstleister überwiegend für Unternehmen mit 1,4 Prozentpunkten hervorstechen und zusammen mehr als die Hälfte des gesamten Wachstums in diesem Dienstleistungssegment ausmachen.

Aber dies hier auszuführen, würde den Rahmen und die Intention dieses Beitrags sprengen.

Mir ging es vor allem darum zu zeigen, wie sich die Aussagekraft von Indikatoren und ihrer Darstellung ändert, und wie wichtig eine sorgfältige Auswahl der Indikatoren und ein sorgfältiger Aufbau der Darstellung ist.

  • Die absoluten Zahlen zur Wertschöpfung und zur Zahl der Erwerbstätigen konnten nur bestätigen, was eh schon alle wissen: dass der Anteil des produzierenden Gewerbes abnimmt.
  • Erst über den Indikator "Anteile an ..." konnte erkannt werden, dass dieser Prozess in Schüben verlief.
  • Mit den unterschiedlichen Bezugsgrößen, Wertschöpfung, Erwerbstätige bzw. Arbeitnehmer, geleistete Stunden und Bruttolöhne, wurde dann gezeigt, dass dieser Prozess je nach "Blickwinkel" unterschiedliche Ausmaße hat und über lange Zeiträume hinweg fast gar nicht stattgefunden hat.
  • Wie wichtig es für ein gutes Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse ist, jetzt "in die Tiefe" zu steigen, und die großen Aggregate differenziert zu betrachten, konnte hier nur angedeutet werden.

Was hier am Beispiel eines Ausschnitts aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gezeigt wurde, gilt m.E. auch für die Informationssysteme in Unternehmen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass für die jeweilige Fragestellung ein angemessener und aussagekräftiger Indikator zur Verfügung steht, und dieser leicht(!) aufbereitet und differenziert analysiert werden kann.

Zur Datenquelle:
Alle Daten stammen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamts, Wiesbaden. Im Internet können diese Daten beim destatis webschop bezogen werden. Ich bedanke mich für die freundliche Genehmigung, sie hier zu verwenden.

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